Matthias Schirren: Serielle Räume (Eröffnungsrede)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Freunde des Werkbund-Archives, liebe Ute Pleuger,

„Serielle Räume“ hast Du die heute zu eröffnende Ausstellung Deiner Bilder aus den vergangenen 12 Jahren genannt. Das Prinzip der Serialität liegt schon den Fassaden zugrunde, die Du Mitte der achtziger Jahre in Paris maltest. Im Kontrast zu ihrem gegenständlichen und vergleichsweise noch figurativen Gestus fandest Du damals für sie Namen wie „Passacaglia“ und „Fuge“.

Heute, wo das Naturalistisch-Gegenständliche in Deinen Bildern noch weiter reduziert ist, sind die Titel sujethafter, zugleich aber auch ironischer geworden: „Überschwemmung“ heißen beispielsweise diese Papierarbeiten hier zu meiner Linken oder „Wohnblöcke“ diese Ziegelsteine hier zu meiner Rechten. Ganz ernst und gewissermaßen wörtlich sind diese Titel nicht zu nehmen, auch wenn Du mir glaubhaft versichert hast, daß der Anlaß für die Überschwemmungsbilder Fernsehübertragungen von den hochwasserüberfluteten Rheinauen der letzten Jahre waren, die Dich an ähnliche Bilder aus Deiner Jugendzeit am Niederrhein erinnerten, oder daß ein New-York-Aufenthalt im Jahre 1993 Dich zu dem „Parkhaus“ hier zu meiner Rechten inspirierte.

Die Irritationen, die die Titel Deiner Bilder hervorrufen, entsprechen denjenigen, die auch den Bildern selbst eigentümlich sind. Denn das, was man ihr Sujet nennen könnte, im weitesten Sinne: Architektur, Bauten, Fassaden, tritt doch hinter dem zurück, was ihr eigentliches Thema ist: die Serialität. Seriell sind Deine Bilder in zweierlei Hinsicht: zum einen sind sie meist aus immer wiederkehrenden, gleichen oder nahezu gleichen Bildelementen konstruiert. Zum zweiten aber fehlt ihnen der einheitliche Fluchtpunkt, auf den hin alle im Bild dargestellten Gegenstände ausgerichtet und somit fixiert wären. Anstelle eines Fluchtpunktes haben Deine Bilder mehrere Fluchtpunkte. Und so kommt es, daß die im Bild dargestellten – oder besser gesagt angedeuteten – Gegenstände in Bewegung zu geraten scheinen. Sie bewegen sich in einem steten und gleichmäßigen Zug, und dieser stillen und gleichsam unendlichen Bewegung innerhalb des Bildes entsprichst Du dann, indem Du die in Reihen und Mustern angelegten Körper und Fensteröffnungen über den Bildrand hinauswandern läßt.

Bei den Überschwemmungsbildern hast Du hierfür vice versa eine Entsprechung im Sujet gefunden. Bezeichnenderweise allerdings keine naturalistisch-eindeutige, sondern wiederum eine doppelbödige: Denn wenn man sich diese Bilder genau ansieht, dann entdeckt man, daß die Häuschen, die da vorgeblich aus dem Wasser herausragen, so gemalt sind, als schwämmen sie auf dem Wasser. Dieses Schwimmen der Häuser entspricht der ins Schwimmen geratenen Wahrnehmung, der man bei der näheren Betrachtung Deiner Bilder immer wieder ausgesetzt ist.

Den Begriff des Seriellen hast Du abgeleitet aus Deiner Beschäftigung mit der Musik Olivier Messiaens. Bei Messiaen, insbesondere in seinen Orgelkompositionen, gibt es keinen einheitlichen Grundton mehr, über dem die Komposition, festgegründet gewissermaßen, errichtet wäre. Vielmehr bleiben die in allen ihren Elementen durchkonstruierten Themen über dem Grund so in der Schwebe, daß sie wie rotierende Körper in der Weite des Alls nur um sich selbst zu kreisen scheinen, frei zu schweben scheinen.

Serialität, so verstehen wir jetzt vielleicht ein wenig besser, meint nicht die Monotonie des ewig Gleichen, sondern sie meint das leise dahinziehende Schwimmen der unterschiedslos und nebeneinander nahezu gleichgültigen Objekte.

Denn was der einheitliche Fluchtpunkt in der Malerei ist, das ist der Grundton in der Musik. Es ist kein Zufall, daß Anfang unseres Jahrhunderts der Durchbruch zum abstrakten Bildraum eines Kandinsky in enger Nachbarschaft stattfand zum Experimentieren mit der nicht grundtongebundenen, atonalen Musik eines Schönberg. Anders aber als Kandinsky und die ihm folgten, leugnest Du nicht die Gegenständlichkeit Deiner Bilder. Was sich an Abstraktem und Abgründigem in ihnen tut, vollzieht sich gewissermaßen erst hinter oder über die Gegenständlichkeit des Sujets hinaus.

Dies gilt auch für jenes Bild „Rotunde“, das Du extra für diese Ausstellung, eben für die Rotunde am Ende unserer Raumfolge mit Deinen Bildern gemalt hast. Mit dem Parkhausbild hier in diesem Raum verbindet es, daß der Betrachter sich nicht immer im Klaren darüber sein kann, ob er in eine konkave oder auf eine konvexe Wölbung blickt. Und wie bei dem in der Rotunde gegenüberhängenden Bild „Krankenhaus“ ist das Bild nicht mit einem einheitlichen, sondern mit mehreren Fluchtpunkten konstruiert.

Bleibt noch ein Wort zu sagen zur Materialität Deiner Bilder: Packpapier und Leinwand, diese Untergründe, auf denen Du Deine Bilder malst, sind aufgehoben im eigentümlichen Schimmer ihrer Farbigkeit. Der äußerst dünne Farbauftrag, in dem Du (unter anderem) die Technik Deines Lehrers an der Hochschule der Künste, Bernhard Boes, aufgenommen und weiterentwickelt hast, verleiht Deinen Bildern ein aus der reinen Materialität gewonnenes Leuchten gleichsam von Innen heraus. Die Farbe, so könnte man es überspitzt ausdrücken, hat in Deinen Bildern nicht die Funktion, den Malgrund, die Leinwand, das Papier, zu überdecken, sondern ihn selbst zum Leuchten zu bringen. Die Bilder selbst werden dadurch einmal mehr nicht zur bloß medialen Vermittlung einer Darstellung, sondern zu Dingen, zu Objekten mit einer eigenen Existenz jenseits aller bloßen Abbildungsfunktion. Es sind Gegenstände, die selbst wieder einen seriellen Raum konstituieren können. …

Und mit diesen Worten, meine Damen und Herren, erkläre ich die Ausstellung für eröffnet, nicht ohne allerdings noch einmal auf den schönen Katalog hinzuweisen, der extra für diese Ausstellung zusammengestellt wurde und dessen Kauf ich Ihnen ganz besonders ans Herz legen möchte. … Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Rede zur Eröffnung der Einzelausstellung im Werkbund-Archiv im Martin-Gropius-Bau Berlin am 6. 6. 1996

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