Annie Bardon: Strenges Maß und große Expressivität

Ute Pleugers Linolschnitte sind scheinbar einfache, nach außen hin unspektakuläre Rechtecke, die auf elementare Probleme reduziert sind. Ihre klar definierte, konstruktive Form steht in krassem Gegensatz zur „wilden“ Ausdrucksweise der oft farbüppigen Graphik der achtziger Jahre. Ausgangspunkt für die Entstehung dieser lapidaren Drucke war Pleugers Suche nach einem wirkungsvolleren Medium als der Malerei für die Darstellung ihrer Häuserfassaden und Fensterbilder. Der Linolschnitt, zuerst nur ein Experiment mit einer neuen Technik, ist inzwischen zum festen Bestandteil der Arbeit Ute Pleugers geworden. Er ermöglicht durch die verlangte Präzision sowohl den Abstand von der Malerei als auch die erneute Zuwendung zu ihr.

Die Künstlerin nennt ihre Drucke Stempel. Bei genauer Betrachtung der Arbeiten erweist sich diese Bezeichnung in vielerlei Hinsicht als zutreffend. Ein Eindruck, der sich bei Überprüfung des Begriffs Stempel in einem modernen Lexikon bestätigt. „Vorrichtung zum Abdrucken oder Einprägen kurzer Hinweise, spezieller – stets in gleicher Form benötigter – Angaben, Daten u.ä. und/oder bestimmter graphischer Darstellungen“.

Die formelhafte Sprache dieser Drucke entwickelt sich aus einem Motiv und kommt mit äußerst wenig Elementen, wie zum Beispiel Balken oder Rechtecke, aus. Die einzelnen Formen sind in regelmäßigen Abständen nebeneinander und übereinander auf das graue Packpapier gesetzt und füllen das Blatt bis zu den Rändern aus. Der immer wiederkehrende Rhythmus, die Wiederholung der gleichen knappen Form, das alles spielt auf Endlosigkeit an. Tatsächlich ließe sich die Form im Prinzip horizontal und vertikal noch weiter ausbauen und unendlich fortsetzen. Der rhythmische Wechsel von grauer Fläche und schwarzem Stempel versetzt den Betrachter in ein widersprüchliches Wahrnehmungserlebnis zwischen Sichtbarem, also wirklich Vorhandenem, und Gedachtem, Verborgenem.

Weniger die Gegenstandstreue beschäftigt Ute Pleuger in ihren Häuserfassaden, die fast immer von einer extremen Seiten- und/oder Unterperspektive dargestellt werden. Vielmehr interessiert sie die Reduzierung ihrer Charakteristika, die sie zu abstrakten Elementen verdichtet. Die Wiederkehr der Motive in Serien läßt ihre geringste Veränderung, Abweichung besonders wahrnehmen, auf die zwischen ihnen entstandenen Spannungen achten und darüber ihren Gegenstand beinahe vergessen. Die Bilder erlangen Zeichencharakter. Diese Zeichenhaftigkeit könnte aber die Gefahr in sich bergen, vom Konstruktiv-Konzeptionellen der Arbeiten abzulenken und zum bloßen Wahrnehmen des Zeichens verführen. Doch selbst wenn die Motive für Ute Pleuger nur Anlaß sind und nie Ziel: wahllos austauschbar sind sie deswegen noch lange nicht. Ein Rest von Dingwirklichkeit, von Objektfixierung bleibt vorhanden. Die Bildordnungen Pleugers beziehen sich explizit auf eine anonyme Lebenswelt und ihre Wahrnnehmung. In der Realität ist, wie in den Arbeiten, eine Veränderung der Einzelposition nicht möglich, ohne daß das Ganze verändert wird. Alles ist zur Bewegungslosigkeit verurteilt. Alles muß in einer von Anfang an bestimmten Bahn laufen. Nichts darf aus der Reihe tanzen. So wird in den großformatigen Stempelbildern Ute Pleugers die eigentliche Bedeutung von Begriffen wie Reihenhäuser oder Fensterreihen auf die Spitze getrieben. Es gelingt der Künstlerin, mit sehr strengen Kompositionsprinzipien ein hohes Maß an Expressivität zu erreichen.

Die Entsprechung zwischen den ausgewählten Materialien (graues Packpapier von der Rolle, schwarze Stempeldrucke), den Motiven (Fassaden, Fenster) und der künstlerischen Ausführung (System der Reihung) verleiht den Arbeiten Ute Pleugers eine große Überzeugungskraft. Gerade diese Stimmigkeit macht einen wesentlichen Teil ihrer Qualität aus.

aus dem Katalog: Linolschnitt heute, Städtische Galerie Bietigheim-Bissingen 1992, ISBN 3-927877-10-7
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ohne Titel · 70 × 100 cm · Acryl auf Packpapier · 1996