Margarethe Jochimsen: Mit den Augen hören

Auszug aus der Rede zur Eröffnung der Ausstellung Ars Viva 85/86 – Arbeiten mit/auf Papier im Bayer Kulturhaus Leverkusen am 23. Februar 1986.

Ute Pleugers zentrales Motiv sind Hausfassaden. Der tägliche Blick auf solche Wände aus dem Fenster ihres Arbeitsraumes in Paris prägte sich tief ein, war Schlüsselerlebnis für sie, Befreiung und Einengung zugleich.

Beim Anblick dieser Hausfassaden, mit denen sie sich tagaus tagein konfrontiert sah (auch in Berlin immer noch konfrontiert sieht), vereinigte sich in ihr etwas, das sie jahrelang als Konflikt, als zwei Seelen in ihrer Brust auszutragen hatte: auf der einen Seite ihr intensiver Hang zur Musik, dem Orgelspiel, auf der anderen Seite ihr Bedürfnis nach bildnerischer Gestaltung. Man könnte mit Kandinsky sagen: „Die Vereinigung der eigenen Kräfte verschiedener Künste“ war ihr Problem.

Die architektonische Gliederung der Häuserfassaden, die seriellen Durchbrechungen durch Fenster und Gesimse, riefen in ihr Assoziationen hervor zu Ordnungsprinzipien der Musik, zu Partituren besonders jener streng aufgebauten Musik des Barock, mit der sie sich vor allem beschäftigte. Und in der Tat empfindet man die betonten vertikalen, horizontalen und diagonalen Linien und Balken in ihren Fassaden- und Fensterbildern wie Gerüste, wie Stützakkorde, zwischen denen sich das Laufwerk, die melodische Ausführung, bewegt, sich das Modulieren und Modellieren der differenzierten und subtilen Farbklänge ereignet, wobei der bräunliche Grundton des Papiers viel dazu beiträgt, eine warme, weiche klangliche Stimmung zu erzeugen.

Die zeitliche Dimension ihrer Arbeit wird besonders deutlich in ihren riesigen, flächendeckenden Bildern, in denen sich durch die endlose Reihung von Fenstern, Gesimsen und Mauervorsprüngen Rhythmen und Verläufe ergeben, die den Betrachter zwingen, diese Bilder – ähnlich wie Partituren – nicht auf einen Blick, sondern sukzessive wahrzunehmen. Die kleineren Blätter, die wir hier in der Ausstellung sehen, könnte man mit Harmonieblöcken vergleichen, die aneinandergereiht eine ähnliche Wirkung erzeugen.

Interessant ist, daß etwa im Gegensatz zu Kandinsky, der ja auch eine starke Affinität zur Musik verspürte, wie viele andere Maler auch, z.B. Paul Klee, daß im Gegensatz zu Kandinsky, der durch die Übertragung seiner musikalischen Impressionen in Farben und Formen zur gegenstandslosen Darstellung fand, Ute Pleuger immer diesen gegenständlichen Auslöser braucht, das gegenständliche Gerüst, um ihre musikalischen Visionen innerhalb solcher vorgegebenen Szenerien umzusetzen. Eine total freie Umsetzung, so meint sie, würde sie als Willkür empfinden. Vielleicht könnte man sagen, Ute Pleuger hört mit den Augen, Kandinsky dagegen sah mit den Ohren.

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