Julia Frese: Der fehlende Satz der Sinfonie

Neben dem Eingang zu Ute Pleugers Kunstraum steht eine Orgel, auf dem Notenhalter liegt die „Toccata et Fuga“ von Johann Sebastian Bach. Doch das Instrument geht fast unter im Farbrausch, der sich dem Besucher zur rechten Seite auftut: In dem lichtdurchfluteten Raum in der Caputher Geschwister-Scholl-Straße 40 hüpfen bunte Streifen von Leinwand zu Leinwand, ändern dabei zuweilen abrupt den Farbton. Wie in einem Konzert muß sich der Betrachter erst ein wenig einschwingen, ehe er einen Rhythmus findet.

Ute Pleuger vereint in ihren Werken gern die beiden Künste, zwischen denen sie sich lange hin- und hergezogen fühlte: die Musik und die Malerei. Aufgewachsen im Essen der Nachkriegszeit zog sie Mitte der 1970er Jahre nach Berlin und begann dort zunächst beides zu studieren. An der Hochschule wurde sie Meisterschülerin des renommierten deutsch-syrischen Malers Marwan Kassab-Bachi, zugleich absolvierte sie ein Orgelstudium. „Wie ich das geschafft habe, weiß ich heute auch nicht mehr“, sagt Pleuger. „Morgens um sieben begann meine erste Musikstunde, tagsüber studierte ich Malerei und abends setzte ich mich nochmal bis 22 Uhr an die Orgel.“

Bald jedoch zeigte sich, daß ihr in der Malerei die größte Anerkennung zu Teil wurde. Noch als Studentin erhielt Pleuger ihr erstes Arbeitsstipendium, nach ihrem Abschluß förderten das deutsch-französische Jugendwerk und der Deutsche Akademische Austauschdienst ein zweijähriges Aufbaustudium in einem Pariser Atelier. Zurück in Berlin erhielt sie weitere Stipendien vom Senat für Kulturelle Angelegenheiten. „Als Künstler landet man schnell in der Sozialhilfe oder muß sich von Nebenjob zu Nebenjob hangeln“, sagt die 62-Jährige. „Das ist mir zum Glück erspart geblieben – ich konnte von Anfang an von meiner Malerei leben.“ […]

Nach Jahren als freie Künstlerin erhielt Ute Pleuger einen Lehrauftrag an der Hochschule der Künste und ab 1999 eine Professur an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle (Saale). Sie übernahm die Leitung des Fachbereichs Malerei, saß in Fachgremien und Jurys. Die Bewerbungen um Studienplätze an ihrem Lehrstuhl überstiegen das Angebot um ein Vielfaches. Mit einigen ehemaligen Studierenden hat die Professorin bis heute Kontakt und ein paar von ihnen werden auch bei der Eröffnung ihrer ersten Ausstellung im „kunstraum ute pleuger“ am Sonntag dabei sein.

Das Haus in Caputh hat sie bereits 2005 gekauft. Anfangs sei der Ort nur als persönliches Refugium gedacht gewesen, sagt die Künstlerin. Hinter dem Haus richtete sie ihr Atelier ein, arbeitete mal dort, mal in Berlin, mal in Halle. Doch nach fast 20 Jahren als Professorin faßte Pleuger vor zwei Jahren den Entschluß, ihre Arbeitsstätte ganz nach Caputh zu verlegen. Sie kündigte ihre Professur in Halle, um sich ihren bis dahin unverwirklichten Ideen widmen zu können. „Neben der Lehrtätigkeit hätte ich dieses Bild nicht geschafft“, sagt Pleuger und deutet auf das Farbspiel an den Wänden ihres Kunstraums.

Von der Konzeption bis zur Vollendung der „Toccata“ habe sie insgesamt neun Monate gebraucht. Das nach dem Musikstück benannte Bild vervollständigt eine fünfteilige Werkgruppe zum Thema Musik, die die Künstlerin bereits im Jahr 2000 begonnen hat und die insgesamt etwa 100 Einzelarbeiten umfaßt. Die „Toccata“ folgt dabei auf den ersten Teil „Imago“ und steht vor dem dritten Teil, den „Fugen“. „Bach hat vor seine Fugen häufig noch ein Improvisationsstück, also etwa eine Toccata gestellt“, erklärt Pleuger. So sei das Werk, mit dem sie […] die erste Ausstellung in ihrem Caputher Kunstraum eröffnet, der „Missing Link“ oder auch der fehlende Satz der bis dahin unvollendeten Sinfonie gewesen. […] Ob sie auf der Orgel neben dem Eingang zur Eröffnung etwas spielen werde? Ute Pleuger verneint: „Orgel spiele ich nur noch für mich selbst – nur meine Malerei stelle ich öffentlich aus.“

aus: Potsdamer Neueste Nachrichten, vom 5. Mai 2018

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